Der Fluch des billigen Plastiks

Durch keine andere heimische Seevogelart wird uns das Problem des Meeresmülls so erschreckend vor Augen geführt wie durch den Basstölpel Morus bassanus. Betroffen sind aber auch viele weitere Lebewesen über und unter der Meeresoberfläche – weltweit genauso wie in den Schutzgebieten des Vereins Jordsand an Nord- und Ostsee. Es ist höchste Zeit, dass sich daran etwas ändert. 

Ein Basstölpel mit Netzresten im Schnabel.
Ein Basstölpel mit Netzresten im Schnabel.

Frühling auf Helgoland. Noch weht über das Oberland ein kalter Wind, doch in den einzigen deutschen Brutfelsen für atlantische Seevögel kehrt nach Monaten der Stille bereits das Leben zurück. Die Könige der Helgoländer Seevögel, die Basstölpel, feiern in diesem Jahr Silberhochzeit mit dem roten Buntsandsteinfelsen. Vor genau 25 Jahren brütete das erste Paar dieser Art auf der Hochseeinsel. Das geschlüpfte Küken verendete allerdings noch vor dem Ausfliegen, weil es sich in einem Plastik-Verpackungsband verheddert hatte, den seine Eltern neben Netzresten und anderem Kunststoff-Material zu einem Nest verwoben hatten. Auch der vom Verein Jordsand veranlasste Rettungsversuch einer Bergsteigergruppe des Alpenvereins blieb letztlich vergebens.

Heute brüten rund 700 Basstölpel-Paare auf den Helgoländer Klippen und die Kolonie wächst noch von Jahr zu Jahr. Eben kehrt einer der gänsegroßen Vögel auf seinen ausgebreiteten Schwingen an den Fels zurück, wo ihn sein Partner mit aufgeregtem Schnäbeln ausgiebig begrüßt. In dem rauen Lärmteppich der „arrah-arrah“- und „krok-krok“-Rufe ist das Klacken der aneinanderschlagenden Schnäbel leise zu hören. Wenige Meter weiter stolziert ein Basstölpel erhobenen Hauptes durch die dicht an dicht liegenden Nester. „Sky-Pointing“ nennen die Vogelkundler dieses Verhalten. Das bedeutet den Artgenossen: der will hier keinen Streit anzetteln, der braucht nur etwas Anlauf, um seinen Drei-Kilo-Körper in die Luft zu bekommen. Kaum hat der Basstölpel abgehoben, entschwindet er am weiten Himmel über der Nordsee. In der Ferne ist zu erkennen, wie er mit angelegten Flügeln einem Torpedo gleich zum Tauchgang in die Tiefe stürzt. Als er wenig später zum Brutfelsen zurückkehrt, steckt sein Schnabel in einem bunten Knäuel aus Kunststoff-Schnüren und Netzresten. 

Zwei Arten der Verstrickung

Die Vögel sammeln viele Müllreste für ihre Nester.
Die Vögel sammeln viele Müllreste für ihre Nester.

Die beiden genannten Beispiele demonstrieren, wie Meeresmüll den Basstölpeln zum Verhängnis wird: einzelne Vögel verheddern sich ausweglos in den gezielt in die Kolonie getragenen und in den mehrjährigen Nestern verbauten Plastikfasern, andere spießen beim Stoßtauchen mit ihrem dolchartigen Schnabel ungewollt ein Bündel aus Kunststoff-Strippen oder –netzen auf, den sie kaum mehr loswerden. In einer laufenden Studie des Forschungs- und Technologiezentrums Westküste der Universität Kiel (FTZ) und des Instituts für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ werden die Auswirkungen des Plastikmülls in den Basstölpelnestern untersucht. Nach ersten Erkenntnissen sind über 90 Prozent der Brutunterlagen auf Helgoland betroffen.

„Neben der Müllrate in den Nestern identifizieren wir die Art und den jeweiligen Anteil der verstrickten Seevögel“, erklärt der Biologe Nils Guse vom FTZ. Danach waren adulte Trottellummen, die in der Nachbarschaft brüteten, mit 25 Individuen in 2014 die (bisher) häufigsten registrierten Verstrickungsopfer, während die Basstölpel selbst mit sieben diesjährigen und fünf adulten Tieren betroffen waren.

In der rund 40.000 Brutpaare umfassenden Basstölpel-Kolonie auf der walisischen Insel Grassholm verfingen sich pro Jahr zwischen 33 und 109 Individuen im künstlichen Nistmaterial, wobei die meisten befreit werden konnten. Die Plastikfasern hatten insbesondere die Beine und Füße, zum Teil auch die Flügel von ausgewachsenen Nestlingen gefesselt. Tiefe Einschnitte in die Haut waren nicht selten.

Plastik über alles

Müll am Strand von Scharhörn.
Müll am Strand von Scharhörn.

Wenngleich die durch Verstrickung in Plastikgewebe bedingte Mortalität von Basstölpeln keine bestandsbedrohenden Ausmaße annimmt, führt sie uns doch deutlich vor Augen, was in den Meeren los ist. Die Spuren des sogenannten zivilisierten Menschen führen heute bis mitten in die großen Ozeane, bis in Arktis und Antarktis und in die Tiefsee. Sein Müll, besonders der aus Plastik, treibt in unmessbaren Dimensionen auf dem Meer. „Plastikmüllstrudel von nahezu kontinentalen Ausmaßen driften für Jahrhunderte in den Ozeanen“, sagt der Jordsand-Vorsitzende Eckart Schrey. So befinden sich Schätzungen zufolge mittlerweile zwischen 100 und 142 Millionen Tonnen Müll in den Meeren. Jährlich werden bis zu 10 Millionen weitere Tonnen eingetragen. Das heißt, in jeder Stunde kommen über 1.000 Tonnen hinzu. Unter dem Plastikmüll am häufigsten sind Flaschen, Einkaufstüten und Wegwerfverpackungen von Lebensmitteln. Aber eben auch Fischernetze, die ungewollt oder gewollt über Bord der Kutter und Trawler gehen, treiben massenweise in den Fluten. Zusammen mit Seilen und Tauen stehen sie an Platz 1 des an den Nordseestränden gefundenen Meeresmülls. In der Ostsee geht man von jährlich bis zu 10.000 verlorenen Stellnetze aus, die jahrelang herrenlos weiterfischen können.

Rund 70 Prozent der Abfälle in den Meeren sinken zu Boden, von den restlichen 30 Prozent treibt etwa die Hälfte an der Wasseroberfläche und in der Wassersäule, die andere Hälfte wird an den Stränden angespült. An der südlichen Nordsee sammeln sich so im Durchschnitt 236 Müllteile pro 100 Meter Küstenlinie. Die Insel Scharhörn in der Elbmündung weist die höchste Belastung an den deutschen Küsten auf. Seit 1989 führt der Verein Jordsand hier ein kontinuierliches Müllmonitoring durch. Dabei wurden auf einem Strandabschnitt von 100 Metern Länge teilweise mehr als 8000 Müllteile pro Jahr gezählt. 

viele Meerestiere betroffen

Dieses Robbenweibchen konnte von einer Schnur um den Hals befreit werden.
Dieses Robbenweibchen konnte von einer Schnur um den Hals befreit werden.

Der synthetische Unrat im Meer hat selbstverständlich Auswirkungen auf die darin lebenden Tiere. Im Rahmen einer Auswertung verfügbarer Untersuchungsergebnisse im Jahr 2012 wurden laut Umweltbundesamt (UBA) bei 663 Arten Interaktionen mit Meeresabfällen registriert. In mehr als der Hälfte dieser Berichte wurde dokumentiert, wie sich Tiere in Meeresmüll verheddern oder Müllteile verschlucken. Das entspricht einer Steigerung von 40 Prozent gegenüber einer letzten Auswertung von 1997. Nach neuesten Zahlen des UBA sind sogar für 799 Arten von Meereslebewesen regelmäßige negative Auswirkungen bekannt. Betroffen sind neben Seevögeln insbesondere Fische, Wale, Robben und Meeresschildkröten. Die Anfang 2016 an den Küsten der südlichen Nordsee gestrandeten 29 Pottwale hatten in ihren Mägen Abfall in teilweise erheblichem Ausmaß, darunter Fischernetze und Leinen, alte Autoteile, Verpackungen des täglichen Bedarfs und Kaffeekapseln. Dieser Müll war nicht die Todesursache, aber im weiteren Leben hätten die Wale damit Probleme bekommen, so Ursula Siebert von der Tiermedizinischen Hochschule Hannover auf einem Wal-Symposium in Wilhelmshaven. Im März 2013 war ein Pottwal an der spanischen Mittelmeerküste gestrandet, der tatsächlich an einer „Überdosis“ Plastik verendet war. Der riesige Meeressäuger hatte 59 verschiedene Kunststoffteile mit einem Gesamtgewicht von 17 Kilogramm in seinem Magen. 

Und der Basstölpel?

Der Basstölpel hat sich in Plastikfäden verstrickt.
Der Basstölpel hat sich in Plastikfäden verstrickt.

Auch ein Vierteljahrhundert nach dem tragischen Tod des ersten deutschen Basstölpel-Kükens sterben Jahr für Jahr Seevögel und andere Meerestiere an unserem Zivilisationsmüll. Erschreckend ist, dass die Müllbelastung der Meere trotz des steigenden Bewusstseins für die Problematik nicht ab- sondern zunimmt. Basstölpel sind besonders von umhertreibenden sogenannten Geisternetzen und den neuartigen Dolly Ropes betroffen. Ein Zusammenhang zwischen der Intensität der regionalen Fischerei und der Zahl der strangulierten Vogelopfer gilt als erwiesen. Höchste Zeit also, dass die Fischerei Strategien entwickelt, die die künstlichen Vogelfänger aus den Fluten verbannen. Hoffnungsvoll stimmt in diesen Tagen, dass Bundesumweltministerin Barbara Hendricks nunmehr zu einem Runden Tisch Meeresmüll einlädt. Daran nehmen unter anderem Vertreter aus Fischerei und Schifffahrt, Kunststoffindustrie, Abwassermanagement, Kosmetik- und Reifenindustrie, Einzelhandel, Wissenschaft, Landes-, Bundes-, Kommunalbehörden und -politiker, Tourismus, Umweltverbände sowie Künstler teil. Hinsichtlich der Fischernetze sind für das UBA zum Beispiel folgende Handlungsoptionen denkbar:

-       Rückgabe-/Pfand-/Recyclingsysteme

-       Elektronische Kennzeichnung von Netzen zur Widerauffindung bei Verlorengehen

-       Überarbeitung rechtlicher Regelungen – 100% indirektes Gebührensystem für alle Fischereifahrzeuge für die           Entsorgung von Abfällen in den Häfen

-       Bergung von Geisternetzen, wo ökologisch sinnvoll

Es soll dadurch unter anderem verhindert werden, dass Fischereigeräte, zum Beispiel Netze, im Meer entsorgt werden. Hierzu laufen erste Gespräche mit der Fischereiindustrie.

"Um der Müllmengen in den Weltmeeren Herr zu werden, brauchen wir ein breites Maßnahmenbündel und die Kraft und Kreativität der Zivilgesellschaft“, sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. „Die Ziele sind für alle klar: Wir wollen eine intakte Meeresumwelt.“ Es bleibt abzuwarten, ob die Veranstaltungsreihe wie so viele andere zu einem Feigenblatt wird, oder ob es endlich gelingt, die Plastikflut in den Ozeanen auf nationaler und internationaler Ebene zu reduzieren. 

 

Text: Sebastian Conradt; Fotos: Sebastian Conradt, Imme Flegel, Johannes Blanck

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung aus unserer aktuellen Zeitschrift Seevögel. Die Zeitschrift erscheint viermal jährlich und wird allen Mitgliedern gratis zugestellt.

Kontakt

Verein Jordsand zum Schutz der Seevögel und der Natur e. V.

Bornkampsweg 35

22926 Ahrensburg

Tel.: 04102 32656

Email: info@jordsand.de


Spendenkonto Sparkasse Holstein

Kontonr.: 90020670

BLZ: 21352240

IBAN: DE94 2135 2240 0090 0206 70

BIC: NOLADE21HOL

Spendenkonto Postbank Hamburg

Kontonr: 003678207

BLZ: 20010020

IBAN: DE84 2001 0020 0003 6782 07

BIC: PBNKDEFFXXX